September 20, 2015

elektrische Errungenschaften und weitere Kakophonie

Ich wollte ja auch immer mal noch etwas neues geschrieben haben zum Thema „wer lesen kann, ist klar im Vorteil“, sozusagen als Fortsetzung für den Supermarktartikel. Das gilt natürlich nicht nur für Restaurant und Supermarkt, sondern auch für ein paar Haushaltsgerätschaften wie Wasser- und Reiskocher sowie die Waschmaschine und gibt jetzt zur Abwechslung mal einen längeren Text mit weniger Bildern. 


„Mein“ Wasserkocher (man sollte meinen, eigentlich nur ein Topf mit Tauchsieder, ob unter dem Boden versteckt oder nicht) ist ein ziemliches high end Gerät, im Gegensatz zu dem ultra billigen, simplen Wasserkocher, den ich daheim benutze, der es aber völlig tut und einfach zu reinigen ist, mit nur einem Sprungschalter zum Starten, an dessen Stahlwand man sich im übelsten Fall verbrennen kann, wenn man nicht aufpaßt. Im Gegensatz dazu hier: Keine simple „kabellose“ Wasserkanne mit Erhitzer, nein, ein Gerät auf vier „Füßen“ stehend, ein Knopf zum Wählen der Temperatur (vier verschiedene stehen zur Verfügung), einer zum Wasserwarmhalten, einer zum Starten des Kochvorgangs, einer zum Entsichern des Auslasses, wenn man dann heißes Wasser zapfen möchte und dann der „Zapf“knopf selbst. Damit auch nichts passieren kann und man sich versehentlich heißes Wasser über den Fuß oder sonst wohin kippt. Das kann hier nicht mal eben schnell vorkommen, da müßte es schon mit dem Düvel zugehen. Manchmal wünsche ich mir meinen Kocher von zuhause her, der schnell befüllbar ist, in dem das Wasser ruck zuck kocht (das mag aber einfach an der höheren Spannung und oder Heizleistung des Geräts liegen) und mit dem man sich eben schnell einen Kaffee aufgießen kann. Das geht hier nicht so einfach. Der Kocher hier sieht fast aus wie ein Reiskocher, mit doppelter Wand zum Warmhalten des Wassers und zum Verhindern von Verbrennungen. Hier muss man erst den Deckel entriegeln, den Deckel aufklappen, das ganze Ding mit aufgeklapptem Deckel ist etwas unhandlich, um es unter den Wasserhahn zu halten, statt dessen bin ich dazu übergegangen, den Kocher aus einer Flasche zu befüllen. Und umgekehrt geht das ganze genauso. Da kein Ausgießer vorhanden ist, muss ich das heiße Wasser wiederum in eine Flasche ablassen, um daraus dann den Kaffee aufzugießen. Dazu muss ich den Kocher an den Rand des Tisches vorziehen, denn der ist natürlich auch nicht hoch genug, um eine Flasche oder Kanne darunter zu stellen, da passt gerade mal ein Becher hin, sofern man sich denn einen Teebeutel aufgießen möchte. Hm. Ob das das reguläre Modell ist, was in den durchschnittlichen Haushalten zu finden ist oder geht es vielleicht doch auch einfacher? Ich ziehe auch schon immer den Stecker raus, weil ich bisher keinen allgemeinen Powerknopf identifizieren konnte, sondern der Kocher glaube ich immer „on“ ist, sobald der Stecker steckt. Was passiert, wenn da mal kein Wasser drin sein sollte, probiere ich erst garnicht aus. Ich kann mich noch an die Studienfahrt nach Irland erinnern, während der auf einmal aus der Tülle des Wasserkochers in unserer Cottageküche eine Stichflamme geschossen kam, weil jemandem das Zusammenspiel aus automatischer Abschaltung des Kochers, Schalter an der Steckdose selbst und Wasserpegel im Kessel nicht bewußt war (vielleicht war das auch ich).


Der Reiskocher ist ein ähnliches Thema. Ich kannte bisher nur die chinesische Variante. Reis waschen, mit entsprechender Menge Wasser auffüllen, in den Kocher stellen, Deckel zu, Schalter umlegen und fertig. Das ist natürlich zu simpel. „Meiner“ ist computerisiert, es stehen diverse Programme zur Verfügung, abhängig davon, welchen Reis man denn kochen möchte, weißen Reis, Vollkornreis, Sushireis, sonstiges, keine Ahnung. Um ihn bedienen zu können, mußte ich dann erstmal das Internet konsultieren. Und es ist mir trotzdem nicht immer gelungen. Ich habe es tatsächlich schon mehrmals geschafft, dass die Uhr anging, auch die Melodie (das Ding spielt die ersten Takte von "Morgen kommt der Weihnachtsmann", sobald man es anwirft) zu Beginn ertönte, die Uhr herunterzählte, aber der Reis dann am Ende trotzdem nicht gekocht war. Und ich habe keine Ahnung, was ich falsch gemacht habe. Das war mir jedenfalls eine Lehre, ich prüfe nun doch immer, ob der Kocher ein wenig warm wird, ob ein bißchen Dampf aufsteigt und Reisduft entweicht. Die Programmierbarkeit (inklusive Zeitschaltuhr) ist eine feine Sache, daran habe ich mich allerdings noch nicht gewagt. Wobei es schon nett wäre, morgens den Reis vorzubereiten und dem Kocher zu sagen, er solle um 18 Uhr mit dem Kochvorgang beginnen, damit der Reis dann fertig ist, wenn man nach Hause kommt. Aber bisher hat es mir widerstrebt, den Reis solange im Wasser stehen zu lassen. Vielleicht sollte ich es trotzdem einfach einmal ausprobieren, vielleicht geht das Kochen nach einer solchen Einweichdauer auch schneller, denn das Standardreiskochprogramm dauert in der Tat etwa eine Stunde. Meine Güte. Als ich das erste Mal nur eben schnell eine Portion Reis kochen wollte, weil der Hunger groß war, habe ich doch nicht übel gestaunt. Dafür ist der gekochte Reis aber auch wirklich gut. Nicht pappig, nicht zu hart, eine gewisse Klebrigkeit vorhanden, eigentlich so, „wie er sein soll“ – behaupte ich jetzt mal unbedarft, wenn ich vergleiche mit dem Reis, der mir bisher überall vorgesetzt worden ist. Sicher gibt es dafür auch Unterschiede (wie bei allem hier) und eine Wissenschaft, wie Reis korrekt zu kochen ist, aber für mich völlig ausreichend. Die Kocher können scheinbar alles mögliche kontrollieren und justieren inklusive der eigentlichen Temperatur natürlich, um während des Garvorgangs alles zu optimieren. Vermutlich können sie auch irgendwie erkennen, wenn der Reis vorher länger eingeweicht war. Na, wie auch immer, Hauptsache, es schmeckt. 



Die Waschmaschine war dann die größte Herausforderung. Im Internet kann man alle möglichen Horrorberichte über japanische Waschmaschinen und Waschmittel lesen. Deren Tenor lautet so ungefähr: Die Wäsche wird wahlweise nicht sauber (in Japan wird ja auch „nur“ kalt gewaschen), ist verfärbt, eingelaufen, durchlöchert oder sonst etwas, die Waschmittel seien viel aggressiver als bei uns (was auch immer das heißen soll, mehr Bleiche, mehr Enzyme), ob die Leute da auch tatsächlich mit Waschmittel oder doch nicht eher mit Entfärber oder Weichspüler gewaschen hatten? Die wollen im Supermarktregal ja auch erstmal identifiziert werden, glücklich, wer Kolleginnen fragen kann. Diejenigen, die versucht hatten, mit Waschmittel aus der Heimat zu waschen, waren jedenfalls größtenteils gescheitert (Pulver löste sich nicht auf (weil Wasser zu kalt) oder hinterließ Flecken), und nach dieser Lektüre wollte ich nicht willenlos auf den Knöpfen herumdrücken. Also das Internet. Leider war auch dort die Bedienungsanleitung nur auf der japanischen Seite von LG natürlich ebenfalls ausschließlich in japanisch zu finden. Wen wundert es auch, die Waschmaschinen, die für Japan produziert werden, werden ja auch nirgendwo anders hin verkauft. Und die Bedienungsanleitung hatte ungelogen 60(!) Seiten. Na, viel Spaß. 



Mithilfe meiner Übersetzungsapp hatte ich versucht, die Beschriftung an den Bedienknöpfen zu übersetzen. Im Allgemeinen ging das ganz gut, manches klang ein wenig seltsam, aber man kann sich schon vorstellen, was es bedeuten soll. Es gibt ein „Standard“ Waschprogramm, eines für „Software“, das habe ich mal als Feinwäsche interpretiert, eines für „Babyhautpflege“, eines für „mächtig“, wohl stärker verschmutzte Wäsche. Aber was bedeutet „Kontakt, plötzliche Abreise (danke du app), „Decken“, „Trocknen, Anzeige von Kleidung“ zum Beispiel im Gegensatz zu „Waschen und Trocknen“ oder „Rinse und Dehydratation“. Alles eigene Einstellungen. Worin sich die alle genau unterscheiden, ist mir allerdings nicht klar, die Temperatur kann es ja nicht wirklich sein, wenn die Maschinen angeblich alle nur kalt waschen. Das Wasser in den Maschinen hoch zu heizen, würde hier bei der im japanischen Stromnetz gelieferten Spannung wohl zuviel Energie fressen – ich habe mich mit dem Thema vorher noch nie beschäftigt, dazu gibt es seitenweise Abhandlungen im Internet, Diskussionsforen pro und contra Heißwaschen, wie der Zusammenhang ist zwischen Walkzahl, Waschmittelmenge und Temperatur, um vergleichbare Resultate zu erzielen. Das ist mal ganz interessant zu lesen, schon allein, weil ich mir dazu noch nie Gedanken gemacht habe, Energiehaushalt und CO2-Bilanz hin oder her, wobei ich ja schon noch zu dem Bevölkerungsteil gehöre, der manches auch bei 60°C wäscht, das ist vielleicht tatsächlich nicht mehr notwendig. Zu jedem Programm gibt es drei Wasservolumeneinstellungsmöglichkeiten (30, 40 und 50 L) und entsprechend auch Dosierungsangaben an den Waschmitteln. Es gibt einen Powerknopf, den man erstmal betätigen muss, um überhaupt das Programm wählen zu können. Und noch ein paar weitere, schön eindeutige wie „Vorwäsche“ und „wrinkle prevention“, aber was sind „araisusugi“ und „Reinigungsmittel Null“ = Waschen ohne Waschmittel? Startet man die Maschine gibt es eine akustische Botschaft, dann dreht die Tonne erstmal trocken fröhlich eine Weile im Kreis, vermutlich zum Wiegen des Waschguts und dann springt die Zeitanzeige entsprechend an, um anzuzeigen, wie lange es denn dauern wird. Ein Trockner wäre auch integriert, aber Trocknern gegenüber bin ich aufgrund mangelnder Erfahrung skeptisch, ich trockne meine Wäsche lieber am Reck. 
Das ist hier allerdings ein Problem, denn es gibt im Apartment nicht gerade viel Platz bzw nur so kleine Dinger zum Aufhängen, aber nirgends Haken in der Decke und abgesehen von den Wäschestangen in der Abstellkammer keine Möglichkeit, diese aufzuhängen. Die meisten Japaner trocknen, wie ich gesehen habe, ihre Wäsche auf den Balkonen oder im Vorgarten sofern vorhanden oder zumindestens vor dem Haus, aber den Balkon zu nutzen, ist bei mir im Haus verboten, weil die Balkone Fluchtwege sind. Also muss es so gehen. Dann wäscht man eben nur eine kleine Anzahl Kleidungsstücke mit entsprechend weniger Wasser. Es gibt auch einen Knopf zur Faltenverminderung und ich muss sagen, der ist super. Meine Wäsche kommt jedenfalls deutlich weniger verknittert aus der Maschine als bei der wrinkle prevention Einstellung zuhause. Das reduziert den Bügelaufwand und ist per se schon mal nicht schlecht. Wenn die Maschine fertig ist, ertönt – wen wundert das noch - ein akustisches Signal (und damit meine ich nicht nur einen Ton, sondern eine ganze Melodie), damit man es auch nicht verpaßt und die Maschine nimmt sich selbst von der Stromzufuhr. Interessant, ich weiß nicht, woran das liegt, trauen die Waschmaschinenhersteller den Benutzern nicht genug zu, dass diese daran denken würden, den Strom abzustellen? 
Überhaupt diese ganze Kakophonie, die überall draußen unterwegs aus den Lautsprechern schallt - Achtung Rolltreppe! - Achtung die Türen schließen! (selbst im Fahrstuhl, nicht nur beim Zug) - Achtung der Fahrstuhl fährt aufwärts/abwärts! - Stellen sie das Handy lautlos! usw usw, jingles wenn der Zug angekündigt wird und wenn er wieder fährt, immer und überall macht es irgendwo „pling“ oder „dong“, die Schaffer in den Zügen reden auch gerne und viel, in den Supermärkten und Kaufhäusern wird ständig irgendetwas durchgesagt oder Musik gespielt – diese Kakophonie also, die wird zuhause fort geführt. Immer schön akustische Botschaften senden, so wie die Autos, die auch für die Fußgänger deutlich hörbar piepen, wenn sie rückwärts fahren. Oder die Blinklichter und Warnhupen an den Ausfahrten von Tiefgaragen, damit man als Fußgänger schon vorgewarnt ist, dass dort gleich ein Auto herausgefahren kommt. An den Wochenenden stehen dort auch noch gerne zusätzlich Wachleute davor, die die Ausfahrt regeln und wahlweise Fußgänger oder Autofahrer anhalten, indem sie sich in die Ausfahrt stellen, damit auch niemand zu Schaden kommt. Unfälle gibt es aber natürlich trotzdem. Kürzlich ist ein Raser bei mir um die Ecke sonntagsabends in eine Personengruppe gefahren und im Schaufenster eines Geschäfts zum Stehen gekommen, eine Frau kam dabei ums Leben. So etwas läßt sich auch durch alle Sicherheitsmaßnahmen nicht verhindern. Und getunte und röhrende Autos und Motorräder sieht man hier auch so einige, wenn man in der Stadt unterwegs ist, vor allem an exponierten Stellen wie z. B. in Ginza, wo sich die Fahrer vieler bewundernder Blicke sicher sein können, das ist also auch nicht anders als bei uns. 
Pling, dong und ring ertönt allerdings nie (zumindestens habe ich es noch nicht gehört), von den zahlreichen Fahrradfahrern, die ebenfalls unterwegs sind. Die fahren auch mal gerne auf den Bürgersteigen, sofern diese überhaupt vorhanden und dafür auch teilweise zugelassen sind, aber da klingelt interessanterweise niemand, um sich „anzukündigen“. Ich habe mich schon so einige Male ziemlich erschrocken, wenn da auf einmal einer von hinten an einem vorbeifährt, obwohl gerade gefühlt neben einem nur 50 cm Platz sind. 
Aber am allerallerallerschlimmsten für die akustische Verschmutzung empfinde ich Feuerwehr- Notarzt- und Polizeifahrzeuge im Einsatz. Das Martinshorn allein scheint nicht ausreichend. Die Damen und Herren schreien auch immer noch Ansagen durch die Lautsprecher, dass einem Angst und Bange werden kann. Und zwar mehr oder weniger permanent während des Fahrens. Ich weiß nicht, ob die Japaner alle so abgestumpft sind, dass sie auf Martinshörner generell nicht achten, den Weg nicht frei machen, vor die Fahrzeuge springen und daher noch diese zusätzlichen Aufforderungen zur Vorsicht benötigen. 
Oder ob das nur in Tokyo so ist? 
Diese permanente Geräuschkulisse werde ich jedenfalls nicht vermissen. Bei mir um die Ecke hier in Ikebukuro liegt gleich die Polizeistation und die Feuerwache, entsprechend viel Klang ist geboten, vor allem abends und nachts, wenn ich zuhause bin. Und auch diverse Kneipen, Restaurants und Hotels, auf der Strasse wird auch gerne mal herumgeschrieen zu fortgeschrittener, nächtlicher Stunde, gerade auch am Wochenende natürlich. Erstaunlich, das hätte ich den Japanern vorher gar nicht zugetraut, die Vorurteile lassen mal wieder grüßen. Aber es zeigt auch mal wieder, wie schlecht hier die Häuser isoliert sind, nicht nur gegen die Hitze. Die Zikaden sind dafür inzwischen aber fast vollständig verstummt, die hatte ich ja auch gehört bis in den 13. Stock. 
Sehr nett zu diesem Thema auch ein etwas ironischer Bericht im Focus, den ich gefunden habe „Japan ist ein stilles Land. Glaubt der Westen und begeht damit wahrscheinlich die größte aller Fehleinschätzungen. In den Gärten und Parks mag es ruhig sein, an allen anderen Orten gibt man sich in Japan alle Mühe, mit Dauerbeschallung eine lebhafte Atmosphäre herzustellen. „Genki“ nennt sich das, was so viel wie „energiegeladen, gesund“ bedeutet. Wenn im Supermarkt Schlager und Verkaufsansagen wild durcheinander lärmen, lautet die unterschwellige Botschaft: Hier geht es lebhaft zu, dies ist ein prima Ort. Nur eben nicht für westliche Besucher, die nach wenigen Tagen unter Aggressionsschüben leiden. Genauso gewöhnungsbedürftig sind sprechende Getränkeautomaten am Straßenrand, die ihre Werbebotschaft überraschend verkünden und den einsamen westlichen Spaziergänger zu Tode erschrecken.“ 
Naja, so schlimm ist es dann doch nicht, aber generell ist Stille doch etwas feines, das fällt mir gerade hier einmal wieder mehr auf.

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