Mittwoch vormittag
verlegte ich meinen Standort von Shin-Yamaguchi ein kleines Stück zurück nach
Osten, nach Hiroshima. Das dauert mit dem flotten Nozomi eine knappe halbe
Stunde für 130 km, also keine große Aktion.
Hiroshima ist wenigstens im Gegensatz
zu Tokyo nach meinem Eindruck richtig übersichtlich, so dass es auch überhaupt
kein Problem war, zum Hotel zu finden, abgesehen davon, dass mich mein Kollege
schon mit Anweisungen versorgt hatte, welchen Ausgang vom Bahnhof ich nehmen
sollte, um zur Straßenbahn zu gelangen, welche Linien die richtigen seien und
wie in Hiroshima das Straßenbahnsystem funktioniert. Der ÖPNV hat ja überall
seine eigenen Tücken. Dahingehend fand ich auch das Busfahren nach Hagi recht
spannend. Ich hatte mir dafür ja ein Ticket am Schalter besorgt, dass ich am
Ende der Fahrt einfach beim Fahrer abgab, aber theoretisch kann man auch im Bus
bezahlen. Das Bezahlen erfolgt im Gegensatz zu unserem System auch erst beim
Aussteigen. Ganz durchschaut habe ich es zwar nicht bzw nicht mitbekommen, ob
sich die Leute vorne beim Fahrer aus einem Automaten ein kleines Märkchen oder
ähnliches ziehen müssen, aber es gibt beim Fahrer eine Anzeige, die von
Haltestelle zu Haltestelle immer ein Feld weiterspringt und den Fahrpreis
anzeigt. Wenn man bei der ersten Haltestelle einsteigt, ist es ja noch
übersichtlich, dann zahlt man einfach beim Aussteigen den aktuell angezeigten
Preis, der dann an der ersten Stelle steht, aber was, wenn man unterwegs
irgendwo zugestiegen ist. Muss man sich dann merken, an welcher Haltestelle das
war und die Preisdifferenz selbst kalkulieren? In Hiroshima war es jedenfalls
ganz einfach. Der innerstädtische Bereich ist eine Zone und egal wo man ein-
oder aussteigt und wohin man fährt, man zahlt immer das gleiche, nämlich 160
Yen. Und der Preis ist ebenfalls beim Aussteigen zu entrichten. Es gibt einen
Eingang und einen Ausgang und alle müssen am Schaffner vorbei. Entweder sie
halten ihre elektronischen Fahrkarten an den Leser oder werfen ein paar Münzen
in ein Zählgerät. Das kann dann schon mal ein bisschen dauern, vor allem an der
Endhaltestelle. Aber so fand ich schnell den Weg ins Hotel, praktischerweise
ganz nah an einer der Straßenbahnhaltestellen, gab meinen Koffer ab und machte
mich gleich weiter Richtung Memorial Park und Friedensmuseum. Dabei kam ich
auch noch am „Oktoberfest“ vorbei. Wie schön, diese Art des kulturellen
Austauschs scheint ja wirklich prima zu funktionieren.
Mittags zog es sich
schon zu und wurde ziemlich grau, aber regnen sollte es noch nicht, (leider)
erst am folgenden Tag. Der graue Himmel passte stimmungsmäßig allerdings ganz
gut zum Thema und ich hielt mich doch auch länger als gedacht in dem großen
Gelände auf. Schon wirklich beeindruckend, diese Anlage mit den vielen Denkmälern
und dem Atomic Bomb Dome, der ja nicht wirklich ein Dom ist bzw. war. Mich hat,
obwohl es natürlich doch ganz anders aussieht, vielleicht auch wegen des
Themas, die Kulisse am Flussufer auch ein wenig an Dresden erinnert. Vor allem
am Abend, als das Licht blau wurde und die Ruine angestrahlt dort stand. Es ist
halt auch ein Kuppelbau, der nah an einem Fluss steht. Interessanterweise hat
es wohl auch in Hiroshima lange Diskussionen gegeben, was mit diesem
Gebäuderest geschehen soll, Totalabriss oder Wiederaufbau, bis man sich dann
entschlossen hatte, die Ruine als Mahnmal stehen zu lassen. Das ist es halt
auch, was wohl auf immer mit Hiroshima verbunden sein wird, vielleicht noch
eher als mit dem Namen Nagasaki und sicherlich gibt es in dieser Stadt weit
mehr als dieses Gelände, den Shukkei-en Garten und den wieder aufgebauten Turm
der Karpfenburg, die ich dann Samstag noch besuchen sollte, aber dessentwegen
und wegen der anderen nahegelegenen Ziele (Miyajima), dessen Anlagen ebenfalls
zum Weltkulturerbe zählen, war ich ja schließlich gekommen. Wie auch die vielen
nicht japanischen Touristen, die hier im Gegensatz zu den vorangegangenen Tagen
unterwegs waren. Im Friedensmuseum dann die Bilder zu sehen, wie die Mauern
dieses „Doms“ noch inmitten von nichts standen (wohl stehen geblieben, weil
genau mittig unter der Bombenexplosion), erinnerte mich irgendwie auch an
Bilder vom Kölner Dom im zweiten Weltkrieg, wobei das Ausmaß der Zerstörung im
Fall von Hiroshima ja nicht wirklich vergleichbar bzw etwas völlig anderes war.
Aber überhaupt, dieses Friedensmuseum. Gleich am Eingang Fotos der Explosion, zufällig
gemacht aus unterschiedlichen Entfernungen und ein Raum, wohl des „Doms“,
hinter dessen Fenster Bilder der zerstörten Umgebung geklebt sind, um einen
Eindruck zu verschaffen, wie die Sicht wohl gewesen wäre, hätte man überlebt.
Überlebende gab es in diesem Gebäude ja nicht. Manche Exponate dort fand ich
schon recht drastisch, grauenvolle Fotos natürlich, Überbleibsel, die man
gefunden hat, auch menschliche Überreste dabei, Figuren mit herunterhängenden
Hautlappen, das hat mich doch ehrlich etwas mitgenommen und eigentlich wollte
ich das garnicht sehen. Aber andererseits ist es vielleicht tatsächlich die
einzige Möglichkeit, dem Besucher das tatsächliche Grauen nahezubringen, was
diese Verheerung angerichtet hat. Es gab auch wissenschaftliche Erklärungen und
viel Information natürlich. Auch darüber, wie es im 20. Jahrhundert überhaupt
weiter ging mit Atomwaffen, deren Testung und dem weltweit vorhandene Atomwaffenarsenal. Deprimierend. Drinnen, ein eindeutiger Appell zur atomaren Abrüstung, draußen, das
Kenotaph als Scheingrab natürlich an zentraler Stelle im Gelände,
architektonisch verbunden mit der ewigen Flamme.
An anderer Stelle im Gelände
steht die National Peace Memorial Hall, als weitere Gedenkstätte für alle
Opfer, die dort mit Bild und Namen registriert werden können, dort konnte man
Einsicht nehmen in Erlebnisberichte von Überlebenden, aus Tagebucheinträgen und
Briefen, die in unterschiedlicher Form aufbereitet waren. Wirklich bewegend.
Ich glaube, ähnlich gefühlt habe ich tatsächlich bisher nur nach meinem Besuch
in Dachau. Es ist schon noch etwas anderes, jedenfalls für mich, an einem Ort
zu sein, wo das Grauen tatsächlich war, als z. B. das Holocaustmahnmal in
Berlin zu bewundern. Das finde ich zwar beeindruckend, aber berühren tut es
mich nicht.
Die Friedensglocke am Kinderdenkmal wird jedenfalls fleißig von den Menschen geläutet, die dort vorbei kommen und diese Millionen von farbigen Papierkranichen zu sehen, die von
Kindern aus aller Welt nach wie vor gefaltet werden (die Geschichte hierzu kann
man hier nachlesen, ich kannte sie vorher nicht, auf der Seite von Labbée ist dann gleich noch eine Faltanleitung dabei) und die dort ausgestellt sind,
war schon bewegend. Die koreanischen Opfer haben ihr eigenes Denkmal erhalten
und es gibt noch viel mehr einzelne Gedenkstätten im Gelände.
Abends habe ich
dann noch ein Weilchen auf den Stufen am Fluss gesessen und die Szenerie
betrachtet, bevor ich mich dann durch das Gebiet der Haupteinkaufsstrassen auf
den Weg zurück zum Hotel machte.
Auch hier wieder alles überdacht übrigens. Das
müssen mehrere Kilometer sein. Und dann erschöpft von den Eindrücken nach einer
Nudelsuppe früh ins Bett, denn am nächsten Tag wartete ja der Ausflug nach
Miyajima auf mich.
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